
LEVI VAN LEEUWEN
Hundert Schlüssel
Zwischen den Schatten der Erinnerung und der grellen Kälte der Gegenwart – eine Frau sucht sich selbst.
In einer namenlosen Stadt, deren Schilder überklebt sind und Wege ins Nichts führen, beginnt eine Reise ins Innere. Zwischen kafkaesken Bürokratiewelten und surrealen Begegnungen, zwischen verstörenden Kindheitserinnerungen und fragmentarischen Wahrheiten entsteht das Porträt einer Frau, die sich weigert, verloren zu gehen.
Sie lebt zwischen Aktenordnern, schreibt ihr eigenes Protokoll und kämpft mit einem Messer gegen das Vergessen. Ihre Sprache zerfällt, ihre Welt verschwimmt – und doch findet sie in der Absurdität die Kraft, sich selbst neu zu erfinden.
Ein literarischer Roman, der Grenzen sprengt, das Unsichtbare sichtbar macht und den Leser mitten hineinführt in eine existenzielle Sinnsuche, die keine einfachen Antworten gibt, aber umso mehr Präsenz fordert.
Hier endet kein Roman. Hier beginnt eine Frau.
MIT „UNGEKANNT“ GELANG LEVI VAN LEEUWEN EIN EXISTENZIELLES PORTRÄT EINER AUSSENSEITERIN IN EINER WELT, DIE REGELN SCHAFFT, UM MENSCHEN UNSICHTBAR ZU MACHEN; LITERARISCH ANSPRUCHSVOLL UND ZUGLEICH EINDRINGLICH.
Veröffentlichung: 27.5.2025 (1. Auflage)
Taschenbuchausgabe: 531 Seiten (ISBN 979-8281415774)
Gebundene Ausgabe: 531 Seiten (ISBN 979-8285352938)
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Levi über Carl.
Es war in einer stillen Nacht, als ich das letzte Mal auf die Wellen des Meeres starrte, die sanft gegen das Ufer schwappten. Der Mond stand hoch, als würde er all das Licht in der Welt in einem letzten verzweifelten Versuch bündeln, uns zu zeigen, was wir schon längst nicht mehr sahen. Ich saß da, der kalte Wind auf meiner Haut, die Gischt sprühte wie das Flüstern längst vergangener Zeiten. Und dann, in dieser stillen, schwarzen Nacht, wurde mir plötzlich klar, warum ich all dies – all diese Worte, all diesen Schmerz, diese Geschichten – aufschreiben musste.
Carl war nicht mehr da. Sein Lachen war längst verblasst, und die Geschichten, die er erzählte, trugen sich nur noch in den verblassenden Ecken meines Gedächtnisses. Es war, als ob das Meer selbst mir einen letzten Ruf entgegenschickte – einen Ruf nach ihm. Denn das, was er war, das, was er gelebt hatte, ging verloren, wenn ich es nicht festhielt. Die Welt vergaß. Aber ich konnte ihn nicht vergessen. Nicht den Mann, der das Meer geküsst und die Küsten geliebt hatte. Der, der mit einer Seele aus Salz und Wind durch das Leben ging und für den das Leben immer ein Abenteuer war, ohne Karte, ohne Ziel, aber voller Leidenschaft.
Ich hatte es aufgeschrieben, um ihn nicht zu verlieren. Aber vor allem hatte ich es für mich getan, um zu verstehen. Warum er so war, wie er war. Warum das Leben auf See ihn nicht losließ. Warum ich – obwohl ich das Land nie wirklich verlassen hatte – diesen Ruf in mir spürte, dieses wilde, ungezügelte Sehnen nach etwas, das nie ganz benannt werden konnte.
Es war, als würde ich ihm nachfolgen – wie ein Schatten, der nie ganz zur Ruhe kommt. Aber was bleibt, wenn du das Meer verlässt, wenn der Wind nicht mehr in deinen Haaren weht und der salzige Geruch der See nur noch in der Erinnerung lebt? Ich hatte Carl in den Wellen verloren, in seinen Erzählungen, in den Zeilen, die ich von ihm kannte. Doch ich wusste, dass ich ihm ein Denkmal setzen musste – nicht nur für ihn, sondern auch für mich. Um zu wissen, dass ich immer noch zu den Wellen gehöre, auch wenn ich am Ufer stehe.
Das Buch, dieses Wortgewebe aus seiner Seele, war meine Antwort an ihn, meine Antwort auf die Leere, die er hinterließ. Es war alles, was blieb, nachdem er gegangen war. Ein leises Versprechen: Er würde niemals vergessen werden. Carl – der Mann, der das Meer in sich trug.
Ich musste es schreiben. Für ihn. Für mich. Und für all die anderen, die sich auf einer Reise befinden, ohne zu wissen, wohin sie führt. Denn das Leben, so rau und stürmisch es auch sein mag, hat immer seinen Kurs. Und manchmal muss man diesen Kurs in Worte packen, um den Sturm zu überstehen.
So habe ich Carl lebendig gemacht.
Und jetzt lebt er weiter – in jeder verdammten Zeile.
In mir.
In Pauline.
Im Wind.
Im Salz.
Im Blut.
Mit Anlauf.
Mit Seele.
Mit Sturm im Herzen und Seegang in den Knien.
So wie Carl gelebt hat.
So wie ich geschrieben habe.
So wie dieses Buch jetzt steht.
Still. Schwer. Wahr.
Ein Schlag. Ein Kompass. Ein Vermächtnis.
So muss das.
Mehr Meer geht nicht.
Mehr Herz auch nicht.
Und mehr Carl sowieso nicht.